Ich stellte mir vor wie ich handeln würde, indem ich vorgäbe ich sei ein Mitläufer.
Frei nach 'Ghost in the Shell'. Der Lachende Mann.

Die Katze, das unbekannte Wesen

Alfred Brehm (1829-1884)

Die Katze, das unbekannte Wesen

Zuerst will ich von der Mutterliebe der Katze gegenüber fremden Kindern erzählen. Eines Tages fand ich ein kleines miauendes Kätzchen mitten im Feld. Hungrig war es, furchtsam und müde, dabei sehr scheu und wild. Ich fing es mit Hilfe meines Dachshundes, der mir das Tierchen stellte, brachte es nach Hause und pflegte es nach Kräften. Miezchen gedieh vorzüglich, spielte bald eine Rolle im Haus und begann, noch nicht einmal halbwüchsig, die Jagd auf Mäuse und Ratten, von denen es damals in meinem Haus wimmelte. Hiermit gewann es unsere Zuneigung. Wir Kinder ärgerten es wenigstens kaum und nahmen es abends regelmäßig mit ins Bett. Weder Falschheit zeigte es noch Tücke, ließ sich gut erziehen und wurde schließlich dahin gebracht, daß es weder naschte noch unseren Stubenvögeln zu Leibe rückte, obwohl sein Jägertalent mit der Zeit immer mehr zunahm. Im nächsten Jahr warf die nun erwachsene Katze zum erstenmal Junge. Wir nahmen ihr diese bis auf zwei gestreifte, sogenannte Zyper, ab, die sie mit der größten Hingabe pflegte. Da brachte man uns drei noch blinde Eichhörnchen, die von uns großgezogen werden sollten. Trotz aller Sorge und Pflege starben sehr bald zwei davon, und wir mußten fürchten, auch das dritte zu verlieren. In dieser Not kam uns der Gedanke, der hilflosen Waise die säugende Mutter zu geben. Die Katze war das, und sie erfüllte das in sie gesetzte Vertrauen ganz. Mit Zärtlichkeit nahm sie das fremde Kind unter ihre eigenen auf, leckte, wärmte und nährte es aufs beste und behandelte es von Anfang an mit wahrhaft mütterlicher Hingebung. Das sonderbare Kleeblatt gedieh ausgezeichnet. Die Kätzchen wurden entwöhnt und weggegeben; das Eichhörnchen aber blieb bei seiner Pflegemutter. Nunmehr schien diese das reizende Geschöpf mit dreifacher Liebe zu betrachten. Es war unmöglich ein innigeres Verhältnis denkbar. Die Mutter rief nach Katzenart, Hörnchen antwortete mit Knurren, und beide verstanden einander.

Das hübscheste Schauspiel gewährten sie, wenn die Katze das Pflegekind spazierenführte. Leicht und anmutig schritt die Mutter voran, schwerfällig humpelte das Eichhörnchen hintendrein. Jeden Augenblick sah sich Miez nach dem Kleinen um; blieb es zurück, so rief sie es durch Miauen heran, schien es müde, so blieb sie geraume Zeit mit ihm stehen. Nun sollte das Eichhörnchen unterrichtet werden. Die Sache ging auffallend leicht, wenn die Mutter eine natürliche Begabung ihres Pflegekindes erproben und ausbilden wollte, schwer, wenn sie diesem alle Kunststücke des Katzengeschlechtes beizubringen versuchte. Mit wahrhaft komischer Überrschung bemerkte die Lehrerin, daß ihr Zögling der Anleitung zum Klettern und der notwendigen Warnungen dabei gar nicht bedurfte, sondern von selbst schon diese Kunst ausgezeichnet beherrschte. Mit Verwunderung mußte sie dagegen erfahren, daß alle geschickt auf die Erregung der Fanglust gerichteten Schwanzbewegungen auf den Zögling gar keinen Eindruck machten.

Als die Katze ihr Pflegekind zum erstenmal über einen hohen und schmalen Steg nach dem jenseitigen Ufer unseres Dorfbaches führte, schritt sie mit größter Vorsicht und unter fortwährendem Zurufen voran; das Eichhörnchen war aber eher am anderen Ufer als seine Führerin und wurde deshalb von dieser sehr geliebkost. Später kam es oft vor, daß bei den Spaziergängen der nach und nach kühner werdende Pflegling in den Bäumen von Krone zu Krone dahinlief, während die Mutter am Boden dahinging. Bisweilen kletterte sie ihm auch wohl bewunderungsvoll nach, setzte sich still auf einen Ast und beobachtete mit Mutterlust und einiger Angst die kühnen Sprünge des bald auf den Bäumen heimischen Zöglings. Dieser gehorchte seiner Pflegerin musterhaft. Sie tat ihm ebensoviel zu Willen wie alle Katzen ihren Kindern, brauchte aber, wenn sie Gehorsam verlangte, nur ein einziges Mal zu rufen, um des gewünschten Erfolges sicher zu sein. Ein Oberförster erzählt auch von einem Hasen, der von einer Katze großgezogen wurde.

Mit dem Menschen lebt eine Katze immer in treuer Freundschaft, sobald sie von ihm ordentlich behandelt wird. Normalerweise bringt sie ihm nicht so viel Anhänglichkeit entgegen wie der Hund; wo man ihr aber dieselbe Sorgfalt und Liebe entgegenbringt wie diesem, wird auch ihre Anhänglichkeit an den Herrn nicht gegenüber der eines Hundes zurückstehen. Ein Hund, der sich selbst überlassen bleibt, ist ein pöbelhaftes Vieh. Ich habe das hundertfach in Ägypten gesehen, wo sich niemand der halbwild herumlaufenden Köter annimmt. Sie werden flegelhaft, tückisch, mißtrauisch und scheu.

Die Katzen unseres Hauses sind von jeher sehr freundschaftlich von uns behandelt worden und bewiesen uns immer wieder ihre große Zuneigung und Anhänglichkeit. Zum Entsetzen der Frauen unseres Hauses tragen sie regelmäßig ihre frisch erlegte Beute uns vor Augen und verzehren sie erst, wenn sie für ihre Tüchtigkeit und Geschicklichkeit gelobt wurden.

Als Junge kannte ich zwei Katzen, die nicht nur gegen Bekannte, sondern auch gegen Fremde sehr artig waren. Hatten wir Kinder sie liebkost, so begleiteten sie uns abends nach Hause. Wir hatten zwar eine halbe Stunde weit zu gehen, doch schien ihnen der Weg nicht zu lang zu sein; nie eher als vor unserem Haus nahmen sie von uns Abschied.

Mein Freund Schach teilte mir einmal folgende Geschichte mit: »Als ich noch im väterlichen Haus weilte, hatte ich ein inniges Freunschaftsverhältnis mit unserer alten Hauskatze, einem prachtvollen Zyper. Riese, so hatten wir Kinder sie ihrer ansehnlichen Körpergröße wegen genannt, fühlte sich in hohem Grad zu mir hingezogen. Sie war meine Nachbarin bei Tisch wie meine Schlafgenossin, und selbst in gereiztem Zustand, wenn sie heftig mit dem Schwanze hin und her peitschte, vermochte sie niemand leichter zu beruhigen als ich. Nie ging ich in den Wald, ohne daß sie mich begleitete. In meiner Abwesenheit schien sie sich zu langweilen, und war ich zu lange ihrer Gesellschaft entzogen, so ging sie allein in den Wald, wohl in der Hoffnung, mich dort zu treffen. Gewöhnlich erwartete sie meine Ankunft und kehrte dann mit mir zusammen nach Hause zurück. Dabei war sie sehr neugierig, und alles fesselte ihre Aufmerksamkeit. Bog ich heimlich auf einen Seitenweg ein, so war sie meist binnen kurzem auf meiner Fährte und nahm, nachdem sie mich sorgfältig berochen und geleckt hatte, ruhig neben mir Platz, bis ich mich zum Weitergehen anschickte.

Als ich im Jahre 1834 auf ein zwei Stunden von meiner Heimat entferntes Privatseminar zog, war Riese auch dahin mein Begleiter und weilte hier während meiner ganzen Studienzeit, dreieinhalb Jahre lang. Hier machte ich eine höchst anziehende Beobachtung. Riese war Mutter geworden und pflegte zwei reizende Kinderchen. Da widerfuhr ihr das Unglück, eingefangen und von den noch unbehilflichen Kleinen getrennt zu werden. Ich konnte die Kätzchen unmöglich umkommen lassen und sann auf Rettung. In der Nachbarschaft hatte ebenfalls eine Katze geworfen, war aber ihrer Jungen beraubt worden. Sie wurde als Pflegemutter gewonnen. Bereitwillig unterzog sie sich der Pflege der Stiefkinder, säugte, leckte und reinigte sie aufs beste. Eines schönen Tages aber kam die rechtmäßige Mutter zurück. Riese war der Gefangenschaft entflohen und schnurstracks heimgeeilt. Ich brachte sie zur Pflegerin ihrer Kinder. Erfreut schnurrend und rufend eilte sie herbei und legte sich neben diese und ihre Kinder ins Körbchen, um auch ihrerseits die Pflichten der Mutter zu übernehmen. Von nun an wurden die Kätzchen von beiden Müttern gesäugt, gepflegt und erzogen. Bald war die eine, bald die andere bei den Kleinen, bei Gefahr aber vereinigten sich beide zu wütender Gegenwehr. Ein Fleischerhund, der in Begleitung seines Herrn arglos auf den Hof gekommen war, in dem sich gerade beide Katzen mit ihrer Schar tummelten, wurde von den besorgten Müttern mit solcher Wut angefallen, daß er fast das Augenlicht eingebüßt hätte und schleunigst das Weite suchte.

Nach meiner Studienzeit zog ich mit Riese in die Heimat zurück. Später habe ich das treffliche Tier allerdings aus den Augen verloren, da wir uns auf immer trennen mußten. In meinem jetzigen Wohnort hatte ich Gelegenheit zu ähnlichen Beobachtungen. Ich zog mir eine Katze, die nicht allein eine wahre Schönheit, sondern auch ein Muster an Reinlichkeit und gutem Benehmen war. Die ganze Nachbarschaft liebte das Tier und schenkte ihm oft Milch. Oft begleitete es mich in den Wald und saß dann stundenlang, weit von der Wohnung entfernt, witternd und spähend am Rande des Weges, den ich zurückkommen mußte. Um Mitternacht heimkehrend, vernahm ich dann mitten im Wald ihre Stimme, und mit einem einzigen Satz saß sie auf meiner Schulter. Nicht ein einziges Mal war es nötig, die Katze zu strafen. Es hätte wohl auch seinen Zweck verfehlt, denn das Tier erwies sich schon gegen jedes harte Wort empfindlich und mied nach einem solchen sogleich meine Wohnung.

Diese Katze übernahm gern die Pflege anderer Tiere. Einmal zog sie einen ganzen Wurf junger Füchse auf und trug den Welpen, als sie feste Nahrung annehmen konnten, fleißig Ratten und Mäuse zu. Eines an diesem Tier ist bis heute unerklärlich geblieben. Sie hatte in ihren letzten Jahren ein junges Kätzchen zur Welt gebracht, das sie anfangs zärtlich liebte und mit dem sie manche Stunde verspielte. Plötzlich aber verwandelte sich diese Liebe in unauslöschlichen Haß. So sehr sich auch die Tochter bemühte, die Zuneigung der Mutter zu erhalten, stets knurrte und drohte sie. Zuletzt wurde die junge Katze der eigenen Mutter förmlich zum Abscheu. Es wurde so schlimm, daß ich die Alte – von dem Kätzchen wollte ich mich nicht trennen – zu einer Nachbarsfamilie in Pflege gab. Sie blieb dort bis zu ihrem Tode und besuchte mich täglich. Ich hatte sie vierzehn Jahre lang.«

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